next up previous contents
Next: Ribosomale RNA und Stammbaumrekonstruktion Up: Einleitung Previous: Stammbaum des Lebens, Crown

Mutationsraten und Molekulare Uhren

  Wie schon vorher beschrieben, treten Punkt-Mutationen im Genom entweder spontan oder durch Einwirkung äußerer Einflüsse (Mutagene) auf. Untersuchungen der Mutationsraten anhand von Gensequenzen haben ergeben, daß Basensubstitutionen mit einer Rate von einer Substitution in 109 bis 1010 Basenpaaren pro Zellgeneration auftreten. Diese spontane Mutationsrate stimmt zwischen Prokaryoten und Eukaryoten weitestgehend überein. (Knippers, 1995)

Aus dieser gleichmäßigen Substitutionsrate leitet sich der Wunsch ab, bei phylogenetischen Analysen die Sequenzen als molekulare Uhren zu verwenden, um Aussagen über die Zeit zu machen, die zwischen den einzelnen Aufspaltungen vergangen ist.

Untersuchungen an Vertebraten[*] haben allerdings ergeben, daß sich die Substitutionsraten zwischen den einzelnen Linien zum Teil stark unterscheiden. Dieses Phänomen wird auf den Effekt zurückgeführt, den die unterschiedlichen Generationszeiten mehrzelliger Organismen haben können. Die für unsere Betrachungen wichtigen Mutationen finden in der Keimbahn mehrzelliger Organismen statt, da nur diese weitervererbt werden können. Haben nun zwei Organismen etwa dieselbe Anzahl an DNA-Replikationen in der Keimbahn, so ist die mögliche Substitutionsrate pro Zeit in dem Organismus höher, bei dem die Generationsdauer kleiner ist. Das kommt daher, daß in demselben Zeitraum mehr Zellteilungen bzw. DNA-Replikationen in der Keimbahn stattfinden und damit mehr Mutationen entstehen können. Eine zusätzliche Erklärung ist, daß die unterschiedlichen Organismenlinien auch unterschiedlich gut funktionierende Reparaturmechanismen besitzen und auch daher unterschiedlich hohe Mutationsraten möglich sind. (Futuyma, 1986; Kohne, 1970; Li and Graur, 1991)

Aus diesem Grund ist es nur schwer möglich, genauere Aussagen über die zeitlichen Abstände zu machen. Denn eine Umrechnung der Kantenlängen in Zeiteinheiten ohne genaue Kenntnis der Mutationsraten pro Generation ist nicht möglich.

Obwohl also keine globale molekulare Uhr herangezogen werden kann, kann es möglich sein, lokal, d.h. bei eng verwandten Organismen, anhand molekularer Uhren Zeitabstände zu schätzen. So wird z.B. die zeitliche Entwicklung der Affen und Menschen untersucht, die mit dem Wissen um den Zeitpunkt der Divergenz einer Außengruppe aus fossilen Daten geeicht wird. (Hasegawa et al., 1985; Li and Graur, 1991)

Weitere Probleme für die Benutzung molekularer Uhren liegen darin, daß es Reparationsmechanismen gibt, die bei weitem nicht verstanden sind. Dadurch kann man keine Aussagen über die zeitliche Verzerrung machen, die durch solche Mechanismen ausgelöst werden, wodurch eine Eichung der Zeitabstände sehr ungenau würde. Ein solches Problem tritt z.B. auf, wenn als Grundlage der phylogenetischen Untersuchungen Gensequenzen verwendet werden, die mit vielen Kopien im Genom (Multikopie-Gene) vorkommen. Bei diesen ist nicht bekannt, wie der Mechanismus funktioniert, mit dem die Zellen die einzelnen Sequenzen gegen den Mutationsdruck identisch halten. Es wurden zwar in der Vergangenheit mehrere Mechanismen vorgeschlagen, aber verstanden hat man diesen Vorgang nicht. (Lodish et al., 1995)

Aus den oben angeführten Gründen werden molekulare Uhren selten benutzt. Auch in dieser Arbeit werden wegen dieser Unsicherheiten und der Benutzung von ribosomaler RNA, einem Multikopie-Gen, keine Aussagen über die Zeiträume der Kanten versucht.


next up previous contents
Next: Ribosomale RNA und Stammbaumrekonstruktion Up: Einleitung Previous: Stammbaum des Lebens, Crown
Heiko Schmidt
7/17/1997