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Stammbaum des Lebens, Crown Group Radiation und Plastidenentstehung

Spätestens seit Carl von Linné (1707-1778) das erste umfassende System der Lebewesen schuf, beschäftigen sich Biologen mit der Frage nach den Verwandtschaftsverhältnissen zwischen den Lebewesen. Seitdem sind viele Klassifikationsschemata und Stammbäume vorgeschlagen und viele auch wieder verworfen worden (Margulis and Schwartz, 1988; Watson et al., 1992).

Vergleicht man zum Beispiel den monophyletischen Stammbaum der Organismen (Abb. 1.1), wie er 1866 von Haeckel vorgeschlagen wurde, mit dem heutigen Stand der Erkenntnis, so haben tiefere Einblicke in die Strukturen der Organismen einiges verändert. Damals wurden noch alle Einzeller inklusive der Bakterien (hier Moneren) und die Schwämme (Spongidae) zu einer monophyletischen Gruppe von Protisten zusammengefaßt. Die Schwämme werden heutzutage bei den Tieren angesiedelt. (Haeckel, 1866; Wainright et al., 1993; Wehner and Gehring, 1995)

Später wurden die Organismen in zwei Überreiche[*] unterteilt, in die Prokaryoten (Bakterien; Zellen ohne Zellkern) und die Eukaryoten (Zellen mit Zellkern). Doch auch diese Einteilung mußte korrigiert werden, als Sequenzanalysen der Gene ribosomaler RNA (rRNA) zeigten, daß sich die Prokaryoten in die Archaebakterien (Archaea) und die Eubakterien aufspalten, die sich stark voneinander unterscheiden (Watson et al., 1992).

Die Frage, in welcher Reihenfolge diese drei Überreiche divergierten, ist aktuelles Forschungsthema. Alle drei Möglichkeiten, d.h. Stammbäume mit Eukaryotischer, Eubakterieller oder Archaebakterieller Wurzel, werden unterstützt, je nachdem mit welchen Datensätzen man die phylogenetischen Analysen durchführt (Saccone et al., 1995).

Auch die Unterteilung der Eukaryoten in die vier Reiche[*] Tiere, Pilze, Pflanzen und Protisten ist umstritten. Zwar besteht bei der Einteilung der Tiere, Pilze und Pflanzen in monophyletische Gruppen weitgehend Konsens, doch ist die Zusammengruppierung der vielen Einzeller und der von einem Einzeller ableitbaren Mehrzeller im Reich der Protisten sehr umstritten. Viele der Linien der Protisten werden heute nicht mehr als monophyletisch betrachtet. Dies macht die Einteilung in ein Reich um so problematischer.

Die Linien dieser Reiche, die die Gruppe in der Krone (Crown Group) des Stammbaums des Lebens bilden, sind wahrscheinlich in einem eng umgrenzten Zeitraum, der Crown Group Radiation, entstanden. In diesem Bereich der Crown Group Radiation gibt es viele interessante Phänomene zu untersuchen. Ein besonders interessanter Aspekt ist das Entstehen der Zellorganellen der Eukaryoten, wie Mitochondrien und Plastiden. Diese sind, wie Sequenzanalysen von Genen dieser Organellen zeigen konnten, wahrscheinlich durch Endosymbiose, nach Aufnahme anderer Organismen in die Zellen, entstanden (Endosymbiontentheorie). Die Vermutung, daß es sich bei den Plastiden um Endosymbionten handelt, wurde schon Anfang dieses Jahrhunderts aufgestellt. (Bhattacharya and Medlin, 1995; Knoll, 1992; Margulis, 1970; Mereschkowsky, 1905, 1910; Watson et al., 1992)

Die Plastiden der Landpflanzen (hier im allgemeinen als Pflanzen bezeichnet) und Grünalgen, die Chloroplasten, ebenso wie die der Rotalgen (Rhodophyta), die Rhodoplasten, besitzen ein Membranenpaar. Es wird davon ausgegangen, daß diese Plastiden durch primäre Endosymbiose zwischen einem eukaryotischen Wirt und einen prokaryotischen Endosymbionten entstanden sind, der wahrscheinlich ein Vorfahr der heutigen Cyanobakterien war. (Bhattacharya and Medlin, 1995; Douglas and Turner, 1991; Helmchen et al., 1995; Watson et al., 1992)

Gleiches gilt für eine andere Art der Plastiden, die Cyanellen, die bei den Glaucocystophyta auftreten. Cyanellen haben eine wichtige Rolle bei der Untersuchung der Plastidenentwicklung gespielt, da sie im Gegensatz zu allen anderen Plastiden eine Peptidoglucan-Zellwand besitzen, ebenso wie die Cyanobakterien. Anfangs wurden die Cyanellen als eine Gruppe innerhalb der Cyanobakterien geführt, um ihre Ursprünglichkeit zu unterstreichen. Dieses mußte nach Untersuchungen des Cyanellengenoms hinsichtlich seines Umfangs und seiner Struktur revidiert werden, da hier größere Verwandtschaft zu den Plastiden als zu den freilebenden Cyanobakterien gezeigt werden konnte. (Bhattacharya and Medlin, 1995; Bhattacharya et al., 1995; Douglas and Turner, 1991; Helmchen et al., 1995)

Eine weitere Art von Plastiden, die vor allem bei verschiedenen Algenstämmen auftritt, sind die komplexen Plastiden. Sie besitzen statt der zwei Membranen, wie sie eine normale primäre Endosymbiose erwarten lassen würde, vier oder drei Membranen. Cryptophyten und Chlorarachniophyten haben eine Form von komplexen Plastiden, die auf den Ursprung der zusätzlichen Membranen schließen lassen. Sie besitzen innerhalb der äußeren zwei Plastidenmembranen zwei eigene Organellen, ein Plastid und einen Nucleomorph[*]. Dieser Nucleomorph enthält DNA und RNA, außerdem lassen sich in diesen Plastiden Ribosomen finden. Die Theorie, es handle sich um eine durch sekundäre Endosymbiose aufgenommene eukaryotische Zelle, konnte von Maier et al. (1991) untermauert werden, nachdem es ihnen gelungen war, Nuclei und Nucleomorph getrennt voneinander aus Cryptophyten zu isolieren. Sequenzanalyses ribosomaler DNA, sowohl aus dem Nucleus, als auch aus dem Nucleomorph, ergaben, daß es sich hierbei in beiden Fällen um eukaryotische Ribosomen handelte. (Bhattacharya and Medlin, 1995; Maier et al., 1991; Watson et al., 1992)

Maier et al. (1991) gaben ein Modell für die Entstehung der komplexen Plastiden an, wonach heterotrophe Eukaryoten andere, photoautotrophe Eukaryoten durch Endosymbiose aufgenommen hätten. Diese Endosymbionten verloren mit der Zeit die meisten ihrer eigenen Zellorganellen bis auf ihren zum Nucleomorph reduzierten Zellkern, der auch später noch ganz reduziert wurde. An dieser Zwischenstufe, so vermutet man, stehen die Cryptophyten und Chlorarachniophyten. (Maier et al., 1991)

Weiterhin wird diskutiert, ob die einfachen Plastiden monophyletisch sind, d.h. durch eine einzelne primäre Symbiose entstanden sind, oder ob es mehrere primäre Symbiosen gegeben hat. Die Theorie, daß Plastiden polyphyletisch sind, wird vor allem dadurch gestützt, daß in verschiedenen Plastiden unterschiedliche Pigmente zur Lichtaufnahme in der Photosynthese genutzt werden (z.B. Pflanzen, Grünalgen: Chlorophyll a und b; Rhodophyta, Glaucocystophyta: Chlorophyll a und Phycobilline; Haptophyta, Heterokontophyta: Chlorophyll a und c; Cryptophyta: Chlorophyll a und c und Phycobilline). Die meisten phylogenetischen Untersuchungen mit Gensequenzen aus Plastiden unterstützen dagegen einen monophyletischen Urprung der Plastiden. Auch könnte der Vorfahr der Plastiden alle verschiedenen Pigmente besessen haben. (Bhattacharya and Medlin, 1995)

Ein Ziel dieser Arbeit ist es zu versuchen, mit der ML-Methode Einblicke in die Plastidenentwicklung und einige andere Aspekte der Crown Group Radiation zu gewinnen.


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Heiko Schmidt
7/17/1997